Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni „Erlösung in der Verdammnis“

Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024 Davide Luciano (Don Giovanni). (Foto: SF Neumayr / Leopold)Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni „Erlösung in der Verdammnis“.  Seine Eigenschaft als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Lichtdesigner in einer Person sieht Romeo Castellucci als natürliche Folge davon, die Bühne als eine Einheit zu betrachten.

Gefragt nach der Verwendung von Bildern und Symbolen in seiner Arbeit, erklärt er: „Es geht auf der einen Seite darum, Dinge zu kommunizieren, auf der anderen Seite manchmal aber auch darum, Dinge  zu verstecken. So entsteht eine Art Spiel mit dem Publikum, das auf seine Weise ebenfalls arbeiten und sich gewisser Dinge bewusstwerden muss. Man braucht Interaktion, auch die Zuschauer müssen dazu beitragen, das zu ergänzen, was fehlt. Das Wort ‘Symbol’ ist vielschichtig. Es steht in seiner ursprünglichen Bedeutung für eine Vereinigung von Dingen und damit für das Gegenteil des Diabolischen, das Dinge spaltet. Don Giovanni ist insofern diabolisch, allerdings nicht von seinem Wesen her. Er ist nicht bösartig, seine Persönlichkeit hat zwanghaft zerstörerischen Charakter – ähnlich einem Kind, das dadurch Kommunikationsbarrieren überwindet. Auf diese Weise entsteht eine Intimität für den Zuschauer, die keiner Worte bedarf.“

Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024. Teodor Currentzis charakterisiert Davide Luciano: „Er ist eine große künstlerische Persönlichkeit mit viel Charisma. (Foto SF Neumayr / Leopold)
Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024. Teodor Currentzis charakterisiert Davide Luciano: „Er ist eine große künstlerische Persönlichkeit mit viel Charisma. (Foto SF Neumayr / Leopold)

Die musikalische Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis charakterisiert Davide Luciano: „Ich lerne ihn gerade noch besser kennen als 2021. Er ist eine große künstlerische Persönlichkeit mit viel Charisma und ein Mensch, mit dem man sich bei der künstlerischen Arbeit wohl fühlt. Die Kommunikation mit ihm ist einfach, seine umfassende musikalische Bildung ist beeindruckend: Er ist ein großer Stimmkenner und gehört zu den wenigen Dirigenten, die sich mit Gesangstechnik wirklich auskennen. Das ermöglicht eine noch genauere Arbeit bei den sehr intensiven Proben. Bei Teodor besteht immer eine konkrete Beziehung zum theatralischen Element“.

Über die Frauenfiguren in seinem Konzept sagt Castellucci: „Die Frauenrollen spiegeln sich in der Figur des Don Giovanni und dessen Kindheit wider. Es gibt drei Frauentypen: Donna Anna ist das Objekt seiner Begierde. Donna Elvira ist das Gegenteil: sie trifft Don Giovanni zum zweiten Mal – etwas, das ihm missfällt, denn er hat Angst vor anderen Menschen, die für die Gesellschaft mit ihren Regeln, auch für Familie und Ordnung stehen. Gleichzeitig ist Donna Elvira einer der wenigen ehrlichen Charaktere in dieser Oper. Zerlina steht für das Körperliche, das Instinkthafte. Dass Don Giovanni auf völlig maßlose Art nach Frauen sucht, hat seine Ursache vielleicht darin, dass ihm aus psychoanalytischer Sicht eine wesentliche Frau fehlt: Seine Mutter. In diesem Punkt hat mich das Buch über Don Giovanni von Pierre Jean Jouve, einem Freund Bruno Walters, sehr beeindruckt und war wichtig für meine Interpretation.

Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024 - Regisseur Romeo Castellucci. (Foto Neumayr / Leopold)
Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024 – Regisseur Romeo Castellucci. (Foto Neumayr / Leopold)

Erstmals 2018 führte Romeo Castellucci mit Richard Strauss´ Salome bei den Salzburger Festspielen Regie. 2021 folgte seine Inszenierung von Mozarts Don Giovanni, 2022 brachte er Bartóks Herzog Blaubarts Burg und Orffs De temporum fine comoedia auf die Bühne der Felsenreitschule. In diesem Sommer ist im Großen Festspielhaus die Wiederaufnahme seines Don Giovanni zu sehen. Für die Möglichkeit dieser Neueinstudierung ist er, wie er sagt, Intendant Markus Hinterhäuser sehr dankbar. Die Gelegenheit, dieselbe Oper – wie auch im Fall der Salome – ein zweites Mal zu inszenieren, habe man nicht allzu oft. „Ganz wie in der Musik Mozarts entdeckt man immer wieder etwas Neues“, sagt er. Don Giovanni sei für ihn wie ein Ozean: So vielschichtig, dass man ein Leben lang daran arbeiten könne. Einige Dinge habe er im Vergleich zu 2021 angepasst und an der Form etwas gefeilt. Besonders groß seien die Unterschiede aber nicht, ein völlig anderer Don Giovanni sei nicht zu erwarten. Parallelen zur gleichfalls von starken Zwängen getriebenen Figur des Jedermann sieht Castellucci nur bedingt: „Gemeinsam sind beiden vielleicht die Elemente von Schuld, Strafe und Erlösung. Der Unterschied der Figur des Don Giovanni liegt aber darin, dass er die Zerstörung sucht. Er weiß, dass die Verdammnis für ihn Erlösung ist, sein ‘Nein’ am Schluss macht ihn zu einer modernen Persönlichkeit. Sein ‘Nein’ und seine Verdammnis sind für ihn eine Befreiung, erst dadurch wird er zu einem freien Mann.“ Auch der kulturelle und historische Hintergrund der Aufklärung, in der der Mensch im Zentrum steht, sei anders im Vergleich zum Jedermann.

Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024. Kyle Ketelsen (Leporello). (Foto SF Monika Rittershaus)
Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024. Kyle Ketelsen (Leporello). (Foto SF Monika Rittershaus)

Sein Salzburg-Debüt in der Titelrolle gab Davide Luciano in Castelluccis Don Giovanni aus dem Jahr 2021. Auch er betont seine Wertschätzung für das Privileg, zum zweiten Mal in Salzburg dabei sein zu dürfen und die dortige familiäre, freundschaftliche Arbeitsatmosphäre. Auf die Frage, was ihn persönlich an Mozarts Musik fasziniere, sagt er: „Eine konkrete Ebene herauszugreifen, ist schwierig. Das Adjektiv einmalig passt aber ganz gut. Mozarts Musik ist visionär und neu, das Beeindruckende darin ist für mich die Vielzahl koexistierender Merkmale: die Elemente des Komischen, des Dramatisch-Dunklen, des Übernatürlichen und des Abstrakten – all das passt perfekt zusammen. Die besondere Eigenschaft der Musik besteht darin, sowohl die Bilder auf der Bühne zu evozieren als auch die Emotionen der Menschen anzusprechen. Jeder Takt, jede Phrase ist ehrlich.“

Mit dem Werk und seinen Figuren ist Luciano seit 2013 von verschiedenen Seiten vertraut, damals sang er zunächst die Partie des Leporello. Darauf angesprochen, ob sich seine persönliche Sichtweise seither verändert habe, sagt er: „Eine gewisse Quantität an Erfahrung ist für jeden Künstler wichtig. Dass ich vor 11 Jahren den Leporello gesungen habe, war ein Vorteil, ich habe die Rolle ganz nah an der Figur des Don Giovanni gelernt. Das hat mir für deren Interpretation geholfen, ich konnte dadurch neue Facetten entdecken. Im Vergleich zu damals habe ich eine komplexere Perspektive und bin reifer geworden. Ich konnte seitdem an der Interpretation der Figur feilen und weiter zu deren Kern vordringen. Das wurde auch durch die Zusammenarbeit mit Romeo vereinfacht, da unsere Sichtweisen auf das Werk einander sehr ähneln.“

Auf die Frage, wie er sich auf die Rolle der zerstörerischen, getriebenen Figur des Don Giovanni vorbereite, sagt Davide Luciano. „In erster Linie muss ein Künstler sich selbst finden, wenn er eine Rolle interpretiert. Bei Romeos Don Giovanni konnte ich auch Elemente aus meiner eigenen Vergangenheit verarbeiten – Elemente, die jeder von uns in sich trägt. Sie werden also viel von mir selbst und meiner eigenen Vergangenheit in der Rolle finden. Es war für mich deshalb nicht schwierig, mich in die Komplexität der Figur hineinzuversetzen“ Für Aspekte, die sich in der persönlichen Biografie nicht wiederfinden, müsse man immer einen eigenen Weg finden.

Großes Beitragsfoto: Salzburger Festspiele TerrassenTalk: Don Giovanni 2024 „Erlösung in der Verdammnis“: Davide Luciano (Don Giovanni), Romeo Castellucci (Regie, Bühne, Kostüme und Licht). (Foto SF / Neumayr / Leo)

 

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